Auf den Fußspuren der Tingatinga-Kunst
Schlanke Figuren im Sonnenuntergang, abstrakte Tierfiguren und bunte Landschaften. Beinahe jeder Tansania-Reisende hat bestimmt schon einmal eine Malerei in dieser Stilrichtung gesehen. Was heute irgendwo zwischen Touristensouvenirs und geschätzter Kunst rangiert, geht auf den Autodidakten Edward Saidi Tingatinga zurück. Der von 1932 bis 1972 lebende tansanische Künstler, ist der Begründer der gleichnamigen Tingatinga-Kunst.
Der Ursprung der Tingatinga-Kunst
Auf den ersten Blick steht für viele Menschen Tingatinga für „traditionelle ostafrikanische Kunst“, dabei ist der Begründer ein Visionär, der diesen Stil für sich selbst entwickelt hat. Edward Saidi Tingatinga ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und musste früh den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdienen. Nachdem er seine Heimat Nakapanya im Tunduru Distrikt im Süden Tansanias verließ, versuchte er in Dar-es-Salaam Fuß zu fassen. Er verdiente sein Geld in unterschiedlichen Gelegenheitsjobs. Nachdem sein letzter Arbeitgeber ihm den Job quittierte, begann Tingatinga in den 1960ern mit Fahrradlack auf quadratische Pressplatten zu malen.
Motive und Bedeutungen
Als Motive findet man viele klassische Formen aus dem ostafrikanischen Raum. Dazu gehören Alltagszenen, gesellschaftspolitische Themen, Tierdarstellungen oder auch Rituale. Häufig wird auch die Verwurzelung von Zauberei im Alltag dargestellt. Besonders sind vor allem die Tierdarstellungen, da die Gesichter oftmals an Masken erinnern. Sie stellen die Verbindung zwischen realem und symbolischem dar. Viele Motive tauchen wiederholt auf – können aber je nach Künstler unterschiedlich interpretiert werden.
Eine mögliche Inspiration dafür mögen die Wandmalereien der Ndonde sein, zu dessen Gemeinschaft der Künstler gehört. Sie sind eine kleine Volksgruppe in Tansania, die ihre Häuser mit Malereien von Tieren und Landschaften dekorieren. Sie kämpfen heute um die internationale Anerkennung der Tingatinga-Kunst.
Eine nächste Generation von Künstlern
Tingatinga malte vor allem unter einem Baobab und bewies ein großes Geschick, seine Bilder an Touristen zu verkaufen. Heute werden für die Bilder eher Lackfarben auf Ölbasis genutzt, die die gleiche Leuchtkraft der ursprünglichen Werke aufweisen. Durch den langen Trocknungsprozess ist die Herstellung der Gemälde langwierig. Die ursprünglichen Pressplatten werden heute zunehmend durch Leinwände ersetzt, die vor allem leichter zu transportieren sind. Gearbeitet wird nicht mit einer Staffelei, sondern viel mehr liegen die Leinwände auf den Knien der Künstler und werden am oberen Ende durch eine kleine Leiste gestützt.
Die ersten Schüler Tingatingas kamen mit Ausnahme von Omari Amonde, alle aus seinem Verwandtenkreis. Ende der 1960er/Anfang der 1970er wurden Skandinavier aus der Entwicklungszusammenarbeit auf die Werke aufmerksam. Gemeinsam mit Tingatinga und in einer Kooperation mit den örtlichen Behörden der National Development Corp. und National Arts Company organisierten sie 1971 eine Werkschau in Dar-es-Salaam. Dies verhalf Tingatinga zu einem Durchbruch, der ihm auch internationale Aufmerksamkeit bescherte. Unter anderem durch einen Vertrag mit der Development Corporation, konnte der Künstler sich ein gesichertes Einkommen aufbauen und von seiner Kunst leben. Seine Ergebnisse wurden so salonfähig und erzielten immer höhere Preise.
Ein tragisches Ende
Edward Saidi Tingatinga verstarbt 1972, im Alter von 40 Jahren, als er von einem Querschläger einer Polizeistreife versehentlich getroffen wurde. Seine Familie und Freunde sorgten danach dafür, dass seine Malerei ein Kulturgut wurde und über die Generationen weitergetragen, vermittelt und entwickelt wird.
Die ursprünglichen Schüler von Tingatinga entschieden sich, die Arbeit wieder aufzunehmen. Sie nannten sich die zweite Malergeneration und gründeten 1977 die Tingatinga Partnerships. In alter Tradition trafen sie sich weiter unter einem Baobabbaum, nahe des Morogoro Stores. Dies brachte ihnen viel Aufmerksamkeit ein.
Die Zukunft von Tingatinga
Nach Ende des Sozialismus wurde 1990 die Tingatinga Arts Cooperative Society (TACS) Ltd. gegründet. Mittlerweile unterrichtet dort die zweite Generation, bereits eine dritte Generation von SchülerInnen. Insgesamt arbeiten rund 100 Menschen unter dem Dach der Gesellschaft. Während sich einige in der Tradition von Tingatinga sehen, sind andere wesentlich experimenteller und entwickeln den Stil weiter.
Neben den Gruppen gibt es auch freie Künstler. Hier variiert die Qualität der Werke allerdings stark. Viele von ihnen sind in Dar es Salaam, auf Sansibar und weiteren touristisch beliebten Orten zu finden. Bekannter Künstler sind zum Beispiel der einzige Sohn Tingatingas, Daudi Tingatinga (1966–2015) sowie Zena Ally Salum, Abdallah Saidi Chilamboni, Agnes Mwidadi Mpata, Saidi Omary oder John Kilaka. Letzterer illustriert besonders phantasievoll Bilderbücher.
Anmerkung: Die meisten Originale von Tingatinga sind in Kunstgalerien zu finden. Was man außerdem häufig sieht, sind Kopien von ihm, die als Unterschrift den Namen des Künstlers tragen und dann den Zusatz haben „nach Tingatinga“.
Titelbild: Agnes Mpata
