Hüllen für das ideale Leben nach dem Tod
Ghana in Westafrika hat viel Geschichte, faszinierende Natur und traumhaft schöne Strände. Zu seinem reichen kulturellen Schatz zählt die Bestattungstradition der Ga-Adangbe. In deren Zentrum stehen farbenfrohe Totenschreine à la carte. Zahlreiche Manufakturen stehen auch Touristen offen.
Fantasievolle Särge bei Serious und Florence
Gomoa Mpota döst in der Mittagshitze. Das Städtchen zwischen Accra und Cape Coast scheint der Transitverkehr in seiner Ruhe nicht zu stören. Die Küstenstraße N1, an der es liegt, ist Ghanas meistbefahrene Chaussee. In der Tischlerei von Serious und Florence Hanson hört man keinen anderen Motorenlärm als den des Highways.
Durch die Werkstatt schallt der gleichmäßige Scheuerton von Sandpapier auf Holz. Mal wird gesägt, mal wird gehobelt. Hin und wieder klopft und klappert es. Jedes Geräusch entsteht durch manuelle Arbeit. Beim Volk der Ga-Adangbe, zu dem die Eheleute Hanson zählen, pflegt man das Handwerk noch in dessen wahren Wortsinn.
Gomoa Mpota hat einen Markt und wenige Geschäfte. Ein Ziel für Shoppingtouren ist es nicht. Wer aber ausgefallene Ideen für ein Begräbnis sucht, der wird hier fündig. Denn Serious Wood Works Fantasy Coffins erfüllen auch die schrägsten Wünsche. Fast alle Auftragswerke sind so bunt und fröhlich, dass man sie für Kinderspielzeug halten könnte.
„Die meisten Kunden möchten in einem Sarg bestattet werden, der zum Beruf oder Charakter passt“, erläutert Firmenchef Serious Hanson. Denn im Glauben seines Volkes ist der Tod nur der Anfang einer neuen Daseinsweise. Von einem auf den Toten zugeschnittenen Sarg erhofft man sich ein ideales Leben nach dem Tod. Die beiden Fische und das Boot dort drüben baute er für Fischer, das Buch für einen Lehrer. In dem Schraubenschlüssel soll einmal der Leichnam eines Autoschlossers ruhen.
Sehr populär bei Bauern seien Särge in der Form von Früchten. Beispiele dafür zeigt Serious auf Fotos: Gurken, Kürbisse und Chili-Schoten. Und was hat es mit der grünen Riesenflasche auf sich? In großen Lettern steht darauf: „Aromatic Schnaps“. Tatsächlich war auch sie ein Sarg – „für einen Alkoholiker“, wie Serious verrät.
„Wichtig ist, dass sich die Toten wohlfühlen“, sagt Florence Hanson und verweist darauf, dass die Verstorbenen vom Jenseits aus viel Einfluss haben auf das Leben ihrer Hinterbliebenen. In der Hoffnung auf Belohnung bemüht man sich, seine Ahnengeister zu befriedigen. Die Mehrzahl der nicht gerade billigen Bestellungen komme von den Angehörigen, so Florence.
Die Tradition der vielfältig gestalteten und farbenfroh bemalten Totenschreine ist noch nicht alt. Sie ist kulturell in der Religion und im Brauchtum der Ga-Adangbe verwurzelt. Die aufwändig verzierten Sänften, die sie einst bei rituellen Festen ihrer Oberhäupter trugen, lieferten Kunsthandwerkern wie Ataa Oko Addo (1919–2012), Ataa Owuo (1904–1976) und Seth Kane Kwei (1925–1992) die Vorlage für die Figurensärge, die seit den 1940er-Jahren entstanden.
Der vermutlich allererste war ein Krokodil – Familien-Totem einer Häuptlingsfrau, die darin ihren Weg ins jenseitige Leben finden sollte. Ebenso wie bei den Sänften, blieben die meisten Tiermotive aus spirituellen Gründen auch für Särge Privileg der Clan-Chefs. Für gewöhnliche Sterbliche sind deshalb Motive wie Elefanten, Löwen, Hähne oder Krabben tabu. Auch Standes- oder Machtsymbole wie Thron, Stuhl oder Schwert sind nur den Obersten erlaubt.
Im Handy in die Ewigkeit
Ein junger Mann mit Sägespänen im kurzen Haar lüftet den Deckel einer unfertigen Leichenkiste. Oder sollte man besser sagen: Er hebt das Dach von einer Kirche? Geselle Kwaku („Mittwoch“) präsentiert sein aktuelles Glanzstück, einen Sarg in Form von einem Gotteshaus mit hohem Spitzdach und zwei Türmen.
Wer die Ehre haben wird, darin zu liegen, weiß Kwaku schon: „Ein Priester.“ Bis auf Weiteres sei der jedoch noch ganz lebendig und walte in der echten Kirche seines Amtes. Doch sobald dem frommen Mann das Stündlein schlägt, steht sein Refugium fürs Totenreich bereit. Den Auftrag dazu hat er selbst erteilt – so wie viele Kunden hier. „Manchmal kommen sie vorbei, um sich an den Särgen zu erfreuen“, so der Geselle. Auch gibt es welche, die sie mit nach Hause nehmen.
Geliefert und bezahlt wird meist erst kurz vor dem Begräbnis. Serious zeigt auf rund ein Dutzend angestaubter Auftragswerke in den Werkstattecken, darunter – jeweils menschenkörpergroß – ein Telefon, eine Geldscheinbündel, eine Trommel. „In diesem Pickup beispielsweise möchte ein Berufskraftfahrer ruhen. Der Mann ist quicklebendig. Sein Sarg steht schon seit 15 Jahren hier.“
Wie für die meisten seiner Särge wird der Tischler eines Tages etwa 300 Euro dafür kriegen. Jeder kostet ihn im Durchschnitt einen Monat Zeit. Als Material nutzt Serious das weiche Holz des einheimischen Wawa-Baums, nur für Sammlerstücke haltbareres Mahagoni.
Aus solchem hat er auch den fünfköpfigen Dämon hergestellt. Der wohl ungewöhnlichste Figurensarg in seiner Werkstatt ist der einzige, für den er keinen Auftrag hatte. Obwohl man meint, gewisse Ähnlichkeiten mit den Thronen alter Ghana-Herrscher zu erkennen, ist die hohle Bestie ein reines Phantasieprodukt. „Die Werbung eines Yoga-Studios hat mich dazu inspiriert“, vertraut der Kunsthandwerker dem Besucher an.
Ob er selbst einmal in diesem Sarg beerdigt werden wolle? „Nein“, entgegnet Serious bestimmt, „in einem Hobel.“ Als Tischler eben, ganz konservativ.
- von Carsten Heinke
Titelbild: Carsten Heinke
